Ladies and Gentlemen, there are only very few people who are stupid enough to do a street show on a tuesday morning in the rain,
kündigte der Straßenkünstler auf der Royal Mile aus voller Kehle brüllend seine Show an, als der Regen gerade eine Minute ausgesetzt hatte und die ersten Menschen sich wieder unter freien Himmel wagten. Eigentlich traf er damit auch ganz gut den Nerv der Stadt selbst. Aber der Reihe nach.
Why is it the George IV Bridge?
Als ich vor fast zwei Monaten das erste Mal in Edinburgh (merke: man sagt [ˈɛdɪnb(ə)ɹə], also etwa „Ed(i)nbra“) war, hatte ich gerade ein Angebot der Uni Edinburgh für einen Master-Studiengang bekommen, und aus einer Laune heraus beschloss ich, dass ich mir Edinburgh [ˈɛdɪnb(ə)ɹə] von den zur Auswahl stehenden Städten als erstes ansehen würde. Ich flog also kurzerhand von London, wo ich schon einmal war, nach Edinburgh [ˈɛdɪnb(ə)ɹə] weiter, und war von der Stadt fasziniert und zugleich überfordert, denn Edinburgh [ˈɛdɪnb(ə)ɹə] (… ich werde das nicht weiter machen, es heißt „Ednbra“, einfach merken!) geographisch zu überblicken, ist ein mühseliges, wenn nicht für Touristen gar unmögliches Unterfangen. Das liegt vor allem daran, dass Edinburgh sich nicht – wie jede vernünftig geplante Stadt der Welt – ebenmäßig über den Erdboden erstreckt und somit überschaubar auf eine zweidimensionale Karte passt. Hier hat man stattdessen – um dem ständigen Auf und Ab der Gegend Herr zu werden – alle größeren, bedeutenderen oder prachtvolleren Straßen als Brücken mitten durch die Stadt, über andere Straßen und Häuser hinweg, konstruiert. Es kann einem dadurch ständig passieren, dass man sein Ziel 50 Meter unter seinem momentanen Standpunkt von einer Brückenbrüstung sehen kann, man aber keine Ahnung hat, wie man dort herunter kommen soll.
Das Na-und-Prinzip
Die Schotten sind ein witziges Volk. Ihre Geschichte ist voller herzerweichend hilfloser Versuche, sich gegen einfallende Feinde aller Art zu wehren, von denen fast keiner (außer der in Braveheart, und auch der nicht so richtig) erfolgreich war. Die Edinburgher haben riesige Mauern um ihre Stadt gezogen, um dann in einem Anfall geistiger Umnachtung oder finanzieller Schwierigkeiten die Armee soweit zu verkleinern, dass man die nicht mehr bemannen konnte und die Engländer kurzerhand hindurchspazierten. Die bis heute andauernden separatistischen Bestrebungen sind auch für die meisten Schotten eher verrückt-sympathisch und in ihrer Aussichtslosigkeit vergnüglich, sodass man sich damit wenig beschäftigt. Man fühlt sich hier trotz aller Folklore britisch – und wenn Kate und William ein Baby bekommen, unterhält sich ganz Edinburgh genauso wie jedes andere britische Städtchen darüber.
Die vielleicht gerade daraus resultierende beißende Selbstironie der Schotten, wenn es um ihre Nation, ihre Stadt, ihre Geschichte und ihren Status in der Welt geht, macht die Provinzrolle Schottlands im Vereinigten Königreich vielleicht erträglicher – für mich war sie jedenfalls sofort sympathisch.
Tom Riddle, McGonnagal und Moody
liegen hier auf dem Friedhof. Das hat wohl damit zu tun, dass sich JK Rowling nicht nur in Edinburgh ein wenig inspirieren ließ, sondern dass ihre Harry-Potter-Romane fast durchweg hier entstanden sind. Wer auf Greyfriar’s Kirkyard, einem alten Friedhof mitten im Zentrum der Altstadt, spazieren geht, findet neben den Gräbern von Greyfriar und jenem seines Terriers (bedeutende Geschichte, mehr dazu später) auch jene der oben genannten drei Herrschaften. (Interessant übrigens, dass das Grab von Tom Riddle, der in Wahrheit Tom Riddell hieß, mit seinem plattgedrückten Gras und den herumliegenden halben Kondomhüllen nicht nur zufällig den Eindruck erweckt, dass hier nachts Leute in regelmäßigen Abständen dem, dessen Name nicht genannt werden darf, huldigen.) Direkt angrenzend an den Friedhof liegt die womöglich teuerste Privatschule Schottlands, George Heriot’s School, die gemeinhin als das Vorbild für Hogwarts gilt. Und wer über die Royal Mile zieht, findet zentral gelegen einen merkwürdigen Rundbau, der verdächtig an die Innenausstattung der Kammer der Schreckens erinnert.
Wie in jeder guten Stadt mit berühmten Söhnen und Töchtern findet man auch hier – natürlich – diverse JKR-Reminiszenzen (dabei lebt die gute Frau noch). So kann man im Elephant House, einem Café gleichfalls nahe der Royal Mile, das Etablissement „besichtigen“ und dort selbst auch einen Blog schreiben, in dem JKR gerüchteweise die Bücher zu großen Teilen aufgesetzt haben soll. Und dann gibt es noch die kleine Ladenstraße am Grassmarket (direkt neben meinem Hostel, übrigens), die als Vorbild für die Winkelgasse gedient haben soll.
Man fühlte sich in Schottland nicht recht am Platze, wäre das Wetter zu lange zu gut. Im Juni hatte ich drei Tage lang nur Sonne und Stefi sagte zu mir: „Don’t get used to it, the weather is never like this.“ Stimmt. Ich hatte in den drei Tagen, die ich dieses Mal hier verbracht habe, mehr Wetter, als ich mitzählen konnte.
The weather is never like this. Don’t get used to it.
Zwischen sturmhaftem Wind, üblen Gewittern, strahlendem Sonnenschein, diesigem Dunst, schwül-kühlen Mischwettern und Platzregen gibt es so viele Zwischenabstufungen und Mischungen, dass man eigentlich garnicht für das richtige Wetter angezogen sein kann. Wer hier unterwegs ist, sollte den Zwiebellook perfektionieren: Tshirt, Pullover, Regenjacke. Und eventuell noch so ein Ganzkörperkondom, wenn der Regen mal so ist, dass auch die Regenjacke nicht mehr hilft.
Zu den interessanten Geschichten schottischen Scheiterns gehört auch jene vom schottischen Nationalmonument, das wir ebenfalls auf unserer verregneten Stadtführung besuchten. Es steht auf Calton Hill, einem kleinen Hügel, der als einer der besten Aussichtspunkte in New Town gilt. Als wir dort ankamen, was mit Aussicht allerdings nicht viel zu machen: Ganz Edinburgh war nach dem mehrfachen Platzregen am Vormittag in dichtem Nebel versunken und viel weiter als bis zu den eigenen Füßen zu sehen, erwies sich als schwierig. Wir sind daher am nächsten Tag – bei weit besserem Wetter, es hatte am Vormittag höchstens ein kurzes Gewitter gegeben – im schönsten Sonnenschein nochmal zu zweit hinaufgeklettert und endlich das versprochene Panorama genießen können.
Auch bei meinem zweiten Besuch hier fand ich Edinburgh einfach erschlagend schön. Das uralte, großteils mittelalterlich anmutende Old Town ist ein Traum für jeden Spaziergang, und New Town ist, kaum weniger schön, jenseits des Burgparks zu einem riesigen, vibrierend lebendigen Zentrum gewachsen, wo die Prince Street als Einkaufsmeile und die George Street mit schlichtweg unzähligen Pubs und Clubs das nicht-touristische Leben Edinburghs dominieren.
Mit dem Wetter kann man sich arrangieren, denn es bleibt nie so, wie es war. Wer am Morgen vom Donner eines Gewitters erwacht, kann sich am frühen Mittag plötzlich auf einer Picknickdecke im Burgpark wiederfinden, und wer sich gerade einen Sonnenbrand im Burgpark geholt hat, kann ihn gleich mit dem aufgezogenen Platzregen abkühlen.
As I told ya: Allein auf Reisen und man hat super Spaß,
sagte Anima, und zurecht. Zu den verborgenen Highlights meines Edinburgh-Trips gehört definitiv die Bekanntschaft mit den fünf Jungs, mit denen ich mein Hostelzimmer geteilt habe. Ibo, Tim(?), Henne (!), Eike und Stevie waren die skurrilste und vergnüglichste Abendbegleitung, die man sich wünschen konnte. Ohne diese fünf Jungs, die sich spürbar seit Jahrzehnten kennen und mich sofort mitgenommen haben, wären meine Nächte in Edinburgh zweifellos weniger vergnüglich gewesen. Zwei Abende aufeinander haben wir den gleichen Pub-Crawl er- und erstaunlicherweise auch alle überlebt – Jungs, es war mir ein Vergnügen!
Wir müssen heut mal weniger trinken. Ich krieg sonst Karies,
sagte er und alle lachten – aber es stimmt wirklich! Zu den merkwürdigsten Eigenheiten des schottischen Nachtlebens gehört, dass Bier teuer ist und Longdrinks vergleichsweise spottbilig sind; zumindest gilt das für die Läden, die wir rund um unser Hostel unsicher gemacht haben, wie die OzBar (auf die wir spätestens am zweiten Abend schon keine Lust mehr hatten), das Dropkick Murphy’s (das wir nur als Billard-Bude kennenlernten, weil wir nie lang genug blieben, um die Tanzfläche voll zu erleben) und das Sneaky Pete’s (wenn Google mich nicht reingelegt hat, war das der Laden?). Das hat seine problematischen Seiten. Wenn Jägerbomb (Billig-RedBull mit Jägermeister-Shot), Rum-n-Coke (Billig-Rum mit Aldi-Cola) und Vodka Lemon (Billig-Wodka mit Schweppes-Imitat, das nach Sprite schmeckt) für 2 Pfund zu haben sind, macht das das Betrunken werden einfacher, schneller und süßer. Spätestens nach zwei, drei Drinks kleben die Zähne so richtig, und weil das Material nicht schmeckt und man es dadurch paradoxerweise umso schneller herunterwürgt, haben wir uns ziemlich schnell einen ziemlichen Pegel getrunken.
Wort zum Sonntag
Ich kann es kaum erwarten, hierher zu ziehen und die Stadt wirklich und richtig kennenzulernen.
Abschließend sei noch erwähnt, dass ich natürlich am vierten Tage endlich Glück hatte und eine Wohnung gefunden habe, in der ich mich sofort wohl gefühlt habe. Obwohl ich ursprünglich eher auf Old Town und die Meadows geschaut hatte, bin ich nun in einer direkten Seitenstraße der Price Street gelandet, mitten im Bar-, Pub-, Club-, Shopping- und Touristenzentrum der Stadt. Für ein schönes Studienjahr kann man es wohl nicht viel besser treffen.
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